Gottes schnelle Eingreiftruppe
Im unruhigen Nordosten Indiens kämpfen zahlreiche Rebellengruppen gegen die Armee, für politische Autonomie und finanzielle Pfründe. Einzige Kraft, die von allen Seiten respektiert wird, sind die christlichen Kirchen. In Krisensituationen bringt der katholische Erzbischof Thomas Menamparampil ein überkonfessionelles Friedensteam zusammen – und Aufständische an den Verhandlungstisch.
Text: Michael Gleich
Fotos: Anupam Nath/AP/Peace Counts
Die Wut der Welt, sagt der Erzbischof. Etwas davon will er wegnehmen. Auf sich nehmen. Aber wo anfangen? „Am besten bei mir selbst. Bei den eigenen Fehlern. Ich kenne Hass, negative Urteile über andere, Missgunst. Bevor ich jemanden wie Sadam Hussein anklage, muss ich mich fragen: Was von ihm ist auch in mir?“ Ich bin überrascht. Das sind ungewöhnliche Sätze von einem Kirchenmann. Wir sitzen im Fonds eines Geländewagens. In engen Kurven stoßen unsere Schultern gegeneinander. Manchmal geht die Stimme des kleinen Mannes im Hupkonzert unter, das von draußen hereinbrandet. Der Erzbischof trägt eine schlichte weiße Soutane, darüber ein weinroter Umhang. Wir sprechen darüber, was jemand können sollte, der Frieden stiften will. Man sollte seine dunklen Seiten kennen, sagt der Erzbischof. „Sonst sehe ich die Schatten nur in den anderen. In den Aggressiven. Denen mit der Waffe. Dann entsteht Distanz. Aber ich brauche Nähe, um zuzuhören. Und um gehört zu werden.“
Offensichtlich sitze ich neben einem Kirchenmann, der die Menschen nicht nach gut und böse sortiert. Alles beginne damit, sagt er, sich selbst anzunehmen, mit allen Ecken und Kanten. Akzeptanz, so stellte sich später heraus, ist eines der Erfolgsrezepte von Thomas Menamparampil. Seit 20 Jahren gelingt es dem heute 78-jährigen Erzbischof und seinen Mitstreitern immer wieder, blutige Konflikte im Nordosten Indiens zu beenden. Für dieses Engagement wurde er sogar für den Friedensnobelpreis nominiert. Mittlerweile ist er emiritiert, aber für jeden ist er nach wie vor „Archbishop Thomas“.
Ich will von ihm erfahren, welche Methoden er anwendet. Wie bringt man Aufständische an den Verhandlungstisch? Wie moderiert man Dialoge zwischen Feinden? Woher kommen Lösungen, die nicht nur auf dem Papier stehen? Es wird ein langes Interview, in Etappen. Wir reden auf Autositzen. In der Kantine einer Blindenschule. Im Hof einer Nonnenschule, unterbrochen von einem Federballmatch mit Novizinnen. Und treffen zuletzt auch seine Mitstreiter vom Joint Peace Mission Team, Führer verschiedener christlicher Kirchen, die gemeinsam losziehen, sobald ein Konflikt ausbricht. Gottes schnelle Eingreiftruppe.
Sie wird im Nordosten Indiens dringend gebraucht. Dort operieren zahlreiche bewaffnete Rebellengruppen, die für mehr Autonomie ihrer jeweiligen Volksgruppe kämpfen. Es geht um Landrechte, Job-Möglichkeiten, politische Beteiligung. Die acht Bundesstaaten des Nordostens sind nur durch einen schmalen Korridor, den „Chicken´s Neck“ (Hühnerhals), mit dem Mutterland verbunden. Eine indische Enklave, umrundet von Bhutan, Bangladesh, China und Burma, bewohnt von 45 Millionen Menschen, die anders aussehen als viele Inder im Kernland und die tibetisch-burmesischen Ethnien entstammen. Das lässt sie in den Augen der Zentralregierung seit jeher verdächtig und potentiell illoyal erscheinen. Am besten vergleichbar ist die Situation dort mit Tibet: In beiden Fällen kamen die Besatzer von außen, ist umstritten, ob der Herrschaftsanspruch – hier Delhis, dort Pekings – legitim ist, werden Widerstandsgruppen gewaltsam unterdrückt, herrscht das Kriegsrecht. Doch anders als Tibet, auf das die Welt schaut, bleibt der Hinterhof Indiens im Schatten der Öffentlichkeit.
Der erste Einsatz des Erzbischofs und seines Joint Peace Mission Teams datiert von 1996. Ein offener Krieg bricht aus zwischen zwei Stämmen, den Bodo und den Santhal. Erstere waren schon ansässig im Bundesstaat Assam, während letztere im 19. Und 20. Jahrhundert zuwanderten, um sich als Teepflücker zu verdingen. Der Streit entzündet sich an Landrechten, aber es geht auch um politischen Einfluss und finanzielle Pfründe. Bewaffnete Gruppen setzen gegnerische Dörfer in Brand, plündern, töten hunderte Unschuldiger. In Panik verlassen rund 250.000 Menschen ihre Häuser.
Menamparampil, damals Bischof von Guwahati, der Hauptstadt Assams, besucht die Flüchtlingslager. Es ist Regenzeit. Er sieht Greise, die im Matsch hocken. Er sieht Frauen, die nicht wissen, womit sie eine Mahlzeit kochen sollen. Er sieht Kinder, die dahin siechen. Eine Ordensschwester sagt ihm: „Die meisten der Kleinen werden sterben.“ In diesem Moment hat der Bischof eine Eingebung: Jetzt hilft nur Einigkeit. Es gelingt ihm, alle christlichen Kirchen auf eine Allianz einzuschwören. Das hatte es bis dahin nicht gegeben. Jedes Hilfswerk hatte vor sich hin gewurschtelt, womöglich sogar gegeneinander. Kurzfristig werden einige hundert Freiwillige mobilisiert, darunter Ärzte und Krankenschwestern. Alle machen mit – Katholiken, Baptisten, Adventisten. Menamparampil gibt die Parole aus: keine Konkurrenz! Jedes Hilfswerk leistet, was es am besten kann. Häuser bauen. Decken liefern. Medizinische Betreuung. Was der Kirchenmann noch nicht weiß: Er ist auf dem besten Weg, eine neue Berufung für sich zu entdecken.
Die konzertierte Aktion wirkt. Die meisten Betroffenen sind keine Christen, sondern Hindus, Animisten, Muslime. Im Nordosten gibt es 300 Stämme, ein verwirrender Fleckenteppich, der zudem seine Webstruktur von Siedlungsflächen, Bündnisfäden und politischen Farben ständig verändert. In der Not erweisen sich die Kirchen als die einzige Kraft, die sich für den ganzen Teppich einsetzt. Rasch entspannt sich die Situation in den Lagern. Nach diesem Anfangserfolg genießt das Kirchenkonsortium das volle Vertrauen beider Konfliktparteien.
Menamparampil und sein Team werden gefragt, ob sie politische Verhandlungen organisieren können. Assams Ministerpräsident signalisiert Zustimmung. Seelsorger als Friedensstifter? Thomas Menamparampil tastet sich in seine neue Rolle hinein. Wie soll er vorgehen? Verhandeln, das klingt rational und ruhig. „Aber wir treffen auf Menschen mit frischen seelischen Wunden. Nahe Angehörige sind getötet worden. Freunde leiden in den Camps. Selbst wenn wir eher die Moderaten einladen, sind viele Abgesandte voller Wut und Hass“, sagt der Erzbischof.
Kerzengerade hält er sich während unseres Gesprächs auf dem Rücksitz. Wenn er nicht erzählt, checkt er Mails auf Tablet und Smartphone. Ein drahtiger Mann, entschlossene Gesten, konzentrierte Rede, auch nach vier Stunden Autofahrt. Einer mit langem Atem. Mir rauschen die Ohren von der Kurvenfahrt und vom Höhenunterschied. Wir kommen aus Shillong, eine grüne Stadt auf 1500 Metern, wo es nachts kühl wird, und fahren hinunter ins staubige Guwahati, der Millionenstadt am heiligen Fluss Brahmaputra, in der tropische Temperaturen herrschen.
Hierher werden 1996 die feindlichen Parteien eingeladen. Jeweils 30 Persönlichkeiten von beiden Seiten, Bodos und Santhals. Sie reisen in getrennten Bussen an, nächtigen in entfernten Hotels. Begegnung wäre noch zu riskant. Menamparampils Team spricht jeweils nur mit der einen Seite. Ihr wichtigstes Ziel in den ersten Tagen ist es, die Gemüter beruhigen. Hass verengt die Herzen. Hass verschleiert den Blick. Hass verstopft die Ohren. Wie aber öffnet man Menschen? „Das geht nicht, indem ich sage: Nun beruhigt euch mal.“ Verdrängen würde den Ausbruch nur auf später verschieben. Gefühlswogen brauchen Raum.
Die Verhandlungen balancieren auf Messers Schneide. Ein Mann im Konferenzsaal springt auf, und schreit: Für jeden von uns, den sie umgebracht haben, werde ich zehn von ihnen erschießen! Darf man das dulden? „Auch wenn es mir schwer fällt: Ich versuche ihm zuzuhören. Seinen Schmerz zu fühlen, ihn zu verstehen, für ihn da zu sein.“ Hat Friedenstiften auch etwas mit Heilung zu tun? Der Erzbischof überlegt. „Ja, Zuhören, ohne zu verurteilen, das ist heilsam.“ Urteilen hält er bereits für einen Akt der Gewalt: Der Urteilende stellt sich über den Verurteilten. Dagegen setzt Menamparampil auf Empathie und ein offenes Herz. Es ist diese Nähe zu den Menschen, „wo wir Kompetenzen haben, die kein anderer Akteur mitbringt“. Was der ewige Diplomat nicht sagt: Erst recht nicht Politiker und Beamte, die in der Bevölkerung als korrupt gelten und jede moralische Autorität verloren haben.
Zuhören erscheint mir wenig spektakulär. Ich hatte mir den Leiter von Friedensverhandlungen aktiver vorgestellt: argumentierend, diskutierend, taktierend, als Macher eben. Und nun höre ich, das stärkste Werkzeug sei mitfühlende Präsenz. „Und ob!“ ruft der Erzbischof. „Menschen fühlen sich ernst genommen, fassen Vertrauen, werden zugänglicher für Vorschläge. Sie öffnen sich für einen intelligenten Blick auf die Realität. Dieser Mann, der zehn umbringen wollte und für seinen Ausbruch den Raum bekam, war am nächsten Tag wie verwandelt.“
Aber bloß nicht predigen! Von den Bodos und Santhals, die zum Dialog geladen sind, beten die wenigsten zu einem christlichen Gott. Der Erzbischof schwört das Peace Team für die nächsten, entscheidenden Tage auf weltliche Botschaften ein. Schaut euch an, rufen sie den Versammelten zu, was ihr durch Krieg verliert. Und deuten darauf, was sie gewinnen können, wenn das Töten aufhört: Eure Märkte können wieder öffnen; ihr könnt wieder gemeinsam in einem Bus fahren; der Schulweg eurer Kinder wird sicher. Das Team hat zwar kein offizielles Mandat. Aber ganz Assam verfolgt gespannt, ob der Dialog gelingt. Eingeladen sind Persönlichkeiten, die auch von der anderen Seite respektiert werden. Ärzte, Gelehrte, Sozialarbeiter. Die Moderaten, auf deren Stimme aber auch die Bewaffneten hören.
Wir machen Rast. Von seinem Smartphone hat der Erzbischof ein Mittagsmahl in einer Nonnenschule organisiert. So navigiert er durch das Netzwerk seiner Kirche. Als wir auf den Hof fahren, werden wir von einem Mädchenchor erwartet. Während sie ein mehrstimmiges Willkommen singen, schließt der Mann in der Soutane die Augen. Als das Lied endet, sagt er: „Wisst ihr, Frieden ist möglich. Manchmal ist unser kleiner Beitrag gefragt. Manchmal geschieht Großes, und dann weiß ich: Gott hat ein Wunder vollbracht.“
Menamparampil ist ein Worte-Wesen. Er hat viele Bücher geschrieben, seine Essays zeugen von breiter Belesenheit, in Predigten spannt er weite thematische Bögen. Er sagt, auch für Friedensverhandlungen gebe es eine Diktion, die Verständigung fördere. „Weiche Sprache“ nennt er das. „Wir fordern nicht, sondern schlagen vor. Wir argumentieren nicht, sondern sagen: Könnt ihr euch vorstellen, dass…. Wir geben keine Antworten, sondern stellen Fragen.“ Und das reicht? Ja, sagt der Erzbischof, das Weiche breche das Harte. Worte sollten fließen wie Wasser. Sanft, aber mitreißend. Widerstände umgehend. Alle Beteiligten mitnehmend.
Die Verhandlungen zwischen den Bodo und Santhals sind die Feuertaufe für das Peace Team. Es lernt, wie wirkungsvoll es beispielsweise sein kann, kleine Hindernisse sofort aus dem Weg zu räumen. Die Polizei hat Dutzende unschuldiger Stammesmitglieder verhaftet? Der Erzbischof greift zum Telefon und erreicht deren Freilassung; bei den Emissären der Bodos und Santhals im Saal steigt sein Ansehen.
Nach einem mehrtägigen Verhandlungsmarathon einigen sich die Parteien auf erste Schritte: Das Töten soll aufhören; keine öffentlichen Hassreden mehr; alle Friedensbereiten arbeiten in gemischten Teams zusammen. Zwar wird kein Vertrag unterzeichnet. Aber der Pakt hält dennoch. In den nächsten Jahren kommt es noch zu einzelnen Zusammenstößen. Aber nicht mehr zu einem offenen Krieg.
Seitdem eilt dem Erzbischof und seinen Mitstreitern der Ruf voraus, gute Begleiter bei der Rückkehr zum Frieden zu sein. Kuki gegen Paite, Dimasa gegen Hmar, Karbi gegen Kuki, im Nordosten gibt es viele Brandherde. Jedes Mal schwärmte das Joint Peace Mission Team (JPMT) aus, und oft griff es erfolgreich ein. Aber wie misst man Erfolg, Erzbischof? „Wenn beide Seiten uns hinterher sagen, dass unsere Intervention hilfreich war, haben wir gute Arbeit geleistet.“
Als ich das Wort Schlichtung verwende, wehrt er lebhaft ab: „Unsere Rolle ist viel zurückhaltender.“ Ein Schlichter zeichne sich durch eine Analyse des Konflikts aus, er mache Lösungsvorschläge. Doch das funktioniere nicht in der zerrissenen, fragmentierten Landschaft Nordostindiens: „Wenn ich den Konflikt und seine Ursachen auf meine Weise interpretiere, bringe ich sofort zehn gegen mich auf, die eine ganz andere Sichtweise haben. Jeder Volksstamm hat seine eigene Version der Wahrheit.“ Die Analyse müsse von den Teilnehmern am Dialog selbst kommen. Genauso wie die Vorschläge, welche Schritte in Richtung Frieden führen könnten.
Auch von Versöhnungs- und Wahrheitskommissionen, wie die in Südafrika, die international hoch gelobt wird, hält der Erzbischof wenig. „Hier im Nordosten reichen Fehden manchmal Jahrhunderte zurück. Die Gefahr, dass alte und uralte Wunden aufgerissen werden, ist groß. Stattdessen lenken wir den Blick nach vorn. Zeichnen ein positives Zukunftsbild. Es muss attraktiver sein als die Weiterführung der Kämpfe.“ Gewinnerwartung würde man das vielleicht in der Wirtschaft nennen. Die Konfliktparteien brauchen handfeste Anreize, um sich zu bewegen.
Insbesondere in einer Region, die unter großer Zerrissenheit leidet. Nordostindien ist nur durch einen schmalen Korridor mit dem restlichen Indien verbunden. Die Menschen haben chinesische Gesichtszüge. Wenn junge Leute nach Delhi zum Studieren gehen, werden sie dort als „Chinkys“, als Schlitzaugen gemobbt, nicht selten zusammen geschlagen. Indien betrachtet die acht Bundesstaaten im Nordosten und seine 45 Millionen Einwohner als weit entferntes Anhängsel. Kritiker meinen: eher wie Kolonien, deren Loyalität zweifelhaft sei.
Der Erzbischof führt mich in sein Büro. Es ist mehr eine Bibliothek mit Sitzgelegenheit. Eine Decke schützt den Schreibtisch gegen den Staub. Er zieht eine Schublade auf. Neben einem Rosenkranz und einem schlichten Holzkreuz liegt ein Schächtelchen, aus dem der Erzbischof eine Kugel nimmt. „Wir waren unterwegs, um mit Dorfältesten zu sprechen, und gerieten zwischen die Fronten. Die ganze Nacht Schießereien. Einschläge gab es auch in dem Haus, in dem wir Schutz suchten. Am nächsten Morgen habe ich eine der Kugeln aufgesammelt.“ Er führt sie zum Mund, küsst sie ehrfürchtig. „Die Kugel, die mich verschont hat.“ Er verehrt sie wie eine Reliquie.
Glauben hilft. In den vergangenen Jahren bin ich immer wieder in Krisenregionen gereist, um die Arbeit von Friedensstiftern zu dokumentieren. Dabei ist mir aufgefallen, dass viele von ihnen spirituelle Kraftquellen haben. Sie helfen ihnen, auch die Niederlagen wegzustecken, die jeder erlebt, der sich für gewaltfreie Konfliktlösungen einsetzt. Sie kultivieren das Vertrauen in eine höhere Ordnung, das Wissen um das Grundgute der Schöpfung, auch des Menschen. Nicht anders Thomas Menamparampil. Er zeigt auf ein lebensgroßes Jesusbild an der Wand: „Er ist täglich eine Herausforderung für mich. Er hat das Leiden der Welt auf sich genommen. Ich will mit nahe sein. Ein wenig vom Schmerz der Menschheit mittragen. Das ist für mich eine starke Motivation, die sich immer wieder erneuert. Ich transformiere Leid in Handlung, in konkretes Engagement.“ Inneren Frieden findet er in Gebet und Meditation. Aber stärker noch „im gemeinsamen Tun mit friedliebenden Menschen – da tanke ich auf. Ich nenne das ‚Christus in Aktion’.“
Schon als Jugendlicher wollte er Missionar werden. Ältester von zwölf Geschwistern, eins von ihnen wurde Nonne, drei wurden Priester. Die Gabe, Menschen ohne Urteil zu begegnen, habe er von seinem Vater: „Nie habe ich ihn abfällig reden hören, weder über Süchtige noch über Andersgläubige.“ Wie schwierig es ist, andere nicht zu verurteilen, weiß jeder, der mal ernsthaft versucht hat, Beobachtungen von Bewertungen zu trennen. Thomas Menamparampil versteht sich als „Mensch mit Mission“, aber nicht als einer, der auf so genannte Ungläubige einteufelt. Er wirbt, lockt, will mit gutem Beispiel vorangehen. Wobei das Gutsein auch nicht immer so klappe, wie er sich das vorstelle. Er tröstet sich, den heiligen Paulus zitierend: „Denn ich tue nicht, was ich will, Gutes, sondern was ich nicht will, Böses, das führe ich aus.“ Widersprüche, sagt der Erzbischof, gehörten zum Menschsein.
Das größte Hindernis für einen Friedensstifter sei die Eitelkeit. Wer sich selbst in den Vordergrund dränge und mit genialen Vorschlägen als Stratege profilieren wolle, der gefährde alles. Zwar ist auch Thomas Menamparampil nicht frei von Stolz auf eigene Leistungen; so erzählt er mir ungefragt von den Dutzenden Schulen und Krankenhäusern, die er während seiner Amtszeit gegründet hat. Aber seine Mitstreiter im Peace Team beschreiben ihn als „äußerst demütig und dienend“ während Verhandlungen. Deren Erfolge sind nur dann dauerhaft, wenn sie nicht dem Peace Team zugeschrieben werden, sondern den Emissären der Konfliktparteien. Dann nennen sie den Frieden ihr eigen, und sie stehen gut vor ihren eigenen Leuten zuhause da, die noch überzeugt werden müssen. Besser geht´s nicht.
Der Erzbischof nimmt mich mit zu einer Lagebesprechung des Peace Teams. Sie findet im Zentrum der Baptistenkrichen statt. Der Katholik Menamparampil bewegt sich auf dem Gelände wie zuhause. Er leitet die Sitzung heute. Neben seiner Erfahrung verleiht ihm auch sein Alter Autorität; Seniorität zählt etwas in Indien.
Es geht um den aktuellen Konflikt im Grenzland von Assam und Nagaland. Die beiden Bundesstaaten können sich über den Verlauf der Grenzlinie nicht einigen. Ein Streit, der bis in die Sechziger Jahre zurückreicht. Vor zwei Jahren bricht er offen aus. 14 Dörfer werden verwüstet, das Vieh vertrieben, elf Menschen sterben, rund 10000 fliehen. Der Erzbischof reist sofort in die Aufnahmelager. Als er zurückkommt, sagt er: „Wenn die politischen Führer aneinander geraten, leiden die einfachen Menschen.“ Am stärksten betroffen sind einmal mehr die Adivasis, die Ureinwohner Indiens, aber auch nepalische Einwanderer und Angehörige des Bodo-Stammes.
„Am wichtigsten,“ sagt der Erzbischof seinen Kollegen, die bei Tee und Keksen über ein gemeinsames Vorgehen beraten, „ist es jetzt, den Konflikt örtlich zu begrenzen.“ Er benutzt das Bild von einem Gummiring: Wenn von allen Seiten daran gezogen wird, dehnt sich das Problem aus und zieht weite Kreise. Ging es ursprünglich vielleicht um einen Streit zwischen zwei Dörfern, könnten politische Interessen daraus einen Stammeskonflikt machen. Die Adivasi gegen die Bodo. Das müsse verhindert werden. „Probleme werden klein, wenn man sie klein macht“, sagt Menamparampil. Das Peace Team beschließt, mit den Dorfchefs zu sprechen und ihnen klar zu machen, dass ihre eigenen Interessen andere sind als die politische Agenda derjenigen, die im Hintergrund am Gummiring ziehen wollen.
Wird es dauerhaften Frieden in Nordostindien geben? frage ich den Erzbischof nach der Sitzung. Schwierig, sagt er. Die vielen Volksstämme seien zerrissen und verfeindet, die Konflikte vertrackt. „Wären wir Musiker würde ich sagen: Wir spielen nach Gehör, nicht nach Noten.“ Auf Zuruf reagiere das Peace Team, formiere sich je nach Konflikt, spreche mit einer Stimme, über konfessionelle Grenzen hinweg. Warum die Kirchen, warum nicht die Politiker? An dieser Stelle werden die Kleriker am Tisch wortkarg. Sie bitten mich, sie nicht mit politischen Äußerungen zu zitieren. Sie wollen ihre Mission nicht gefährden. Gelingen könne sie nur, wenn sie strikte Neutralität wahren.
Der Erzbischof, obwohl notorischer Optimist, sagt mir zum Abschied: „Wir werden wohl noch oft ausrücken müssen.“