Mission hinter den Kulissen
Text: Uschi Entenmann
Fotos: Lukas Coch
Im Süden von Thailand versuchen 60.000 Milizen, zugewanderte Muslime aus Malaysia in Schach zu halten, in vier Jahren gab es viertausend Tote und zehntausend Verletzte. Im Norden kämpfen königstreue Gelbhemden gegen Rothemden, die Gegner der Monarchie. Gothom Arya sorgt dafür, dass die verfeindeten Parteien miteinander reden – zumindest das.
Halb vier Uhr früh, noch ist es stockdunkel in der Moschee von Songhkla. Auf dem Steinboden lagern drei Dutzend Pilger, dicht an dicht, dünne Matten schützen sie gegen die Kälte von unten. Sie schlafen tief, erschöpft von dem Marsch, den sie am vergangenen Tag zurückgelegt haben, an die dreißig Kilometer bei Temperaturen um die fünfunddreißig Grad im Schatten. Doch Schatten gab’s nicht, nicht auf dieser oder auf irgendeiner Etappe der tausend Kilometer langen Strecke zwischen Bangkok und Pattani in der Südprovinz Thailands. Abkühlung brachte lediglich der Monsun, der sie ein paarmal bis auf die Haut durchnässte.
Einer ist schon auf den Beinen: Gothom Arya stiehlt sich auf nackten Sohlen zwischen den Schlafenden hindurch ins Freie. Als eine halbe Stunde später der Weckruf ertönt, hat er schon Hemd, Hose und Socken von der Leine genommen, die er am Abend davor gewaschen hat, und wickelt sich die weiße Leinenhose um die Hüften. Noch im Dunklen hockt er auf den Stufen vorm Eingang und schlürft seine Reissuppe. „Ich brauch‘ morgens meine Ruhe“, sagt er lächelnd. „Schließlich bin ich ein alter Mann.“
Gothom Ayra ist jede Etappe von Bangkok bis in die Südprovinz mitgelaufen
In der Tat, er ist sechsundsechzig, allerdings noch ohne ein graues Haar auf dem Schädel, eine lange Gestalt mit der Spannkraft eines Jünglings und einem Gesicht, das gleichzeitig streng und freundlich wirkt. Er ist der Einzige, der jede Etappe von Bangkok bis in die Südprovinz mitgelaufen ist. Vier Kilo hat der ohnehin hagere Mann dabei abgenommen, aber sein Tatendrang ist ungebrochen, schließlich war es seine Idee, diesen Friedensmarsch zu unternehmen. Noch ein Löffel Brühe, dann spült er Schale und Löffel ab und schnürt sein Bündel. Bis zum Sonnenuntergang wird er nichts mehr essen, aus Respekt vor dem Fastengebot des Ramadan, der in diesem Teil des Landes gilt und an den er sich auch als Nicht-Muslim hält.
Denn darum geht es bei dieser Aktion: Um Toleranz in Glaubensfragen und Respekt vor anderen Lebensformen. Die Freundlichkeit verliert sich auf seinem Gesicht, wenn er berichtet, wie es damit im Argen liegt: Drei Millionen Muslime leben in Thailand, dreiviertel von ihnen hier im Süden. Viele sind Bauern und Fischer, die ums Überleben kämpfen. Ihre Armut wuchs, weil die Kautschukpreise sanken und auch mit dem Tourismus weniger zu verdienen war. „Die Menschen fühlten sich von der Regierung im Stich gelassen und suchten Zuflucht in der Religion“, sagt er. Mit dem islamischen Nachbarland Malaysia fühlen sie sich enger verbunden als mit der buddhistischen Mehrheit, die Thailand dominiert.
Die Regierung in Bangkok reagierte auf gewohnt harte Art: Sie verhängte vor sechs Jahren das Kriegsrecht über die drei südlichen Provinzen Yala, Narathiwat und Pattani. Immer wieder eskaliert die Situation. Bomben explodieren in Klöstern, in Einkaufszentren und Banken, Menschen werden erschossen, Schulen geschlossen. „Kaum einer erfährt davon“, sagt Gothom. „Nicht einmal in Thailand und schon gar nicht in der Welt.“ Weil bisher kein Ausländer unter den Toten war.
„Jeden Tag drei Tote und keiner nimmt es wahr!“
Die Bilanz, die er an den Fingern abzählt, klingt alarmierend: Sechzigtausend Milizen hat Bangkok geschickt, um die muslimische Südregion in Schach zu halten. Viertausend Tote und zehntausende Verletzte innerhalb der vergangenen vier Jahre sind das Ergebnis. „Jeden Tag drei Tote und keiner nimmt es wahr!“ sagt er. „Das hat mich aufgeschreckt.“
Und es hat ihn auf einen strapaziösen Weg gebracht, der neu für ihn war. Das Umfeld, auf dem er als Friedenstifter agiert, ist normalerweise nicht die Straße, sondern ein kühl klimatisiertes Büro in der Universität von Bangkok mit Bücherwand, palisanderfurniertem Schreibtisch und gleißenden Neonröhren unter der Decke. Von hier aus lanciert er seit sieben Jahren seine Kampagnen, die sich weitgehend in Gesprächen mit Ministern, Regierungsbeamten, Polizeichefs, Generälen, einflussreichen Buddhisten und Muslimen abspielen. Bezahlt wird er dafür vom Staat, inklusive der Gehälter von neunzehn Mitarbeitern.
Seine Methode klingt denkbar einfach, gestaltet sich aber zuweilen ziemlich kompliziert und birgt manchmal auch Risiken. Er lädt verfeindete Parteien ein und sorgt dafür, dass sie miteinander reden. Mehr nicht. Er versucht gar nicht erst zu vermitteln oder zu schlichten, „es genügt, wenn sie die Bedürfnisse und Werte der anderen Seite sehen“, erklärt er. „Damit ist schon mal ein Anfang gemacht. Alles andere liegt dann in ihrer Hand.“
Seine Taktik verlangt Augenmaß für das Machbare und eine gute Portion asiatische Geduld. „Thailand ist ein Land im Wandel“, erklärt er. „Das alte System hat funktioniert, aber für die Zukunft reicht es nicht mehr.“ Schlimmer noch: Die Konflikte zwischen den Parteien eskalieren. Ein Beispiel, das im März 2010 die Weltöffentlichkeit bewegte, aber auch in Ratlosigkeit versetzte, war der Aufstand von fünftausend Rothemden, die acht Wochen lang die teuersten Quadratmeter des Landes im Bangkoker Geschäftsviertel Silom besetzten und Neuwahlen forderten. Nach zwei Monaten beendete die Polizei mit Waffengewalt den Aufstand. Neunzig Menschen wurden dabei getötet.
„Die Menschen brauchten einen Zufluchtsort, bevor geschossen wurde.“
Gothom Ayra ist es zu verdanken, dass nicht noch mehr Opfer zu beklagen waren. Er hatte seine Mitarbeiter an den Brennpunkten postiert, überall dort, wo Rothemden mit Steinen und Bambusstangen den Gelbhemden auf den Pelz rückten. „Dann rief ich meine Kontaktleute bei der Polizei an, die sich zwischen die Fronten schob und damit die Situation entschärfte.“ Als es sich abzeichnete, dass die Soldaten selbst zum Problem werden würden, erreichte Gothom, dass in der Nacht vor ihrem Eingreifen ein Tempel in der Nähe zur waffenfreien Zone erklärt wurde. „Die Menschen brauchten einen Zufluchtsort, bevor geschossen wurde.“ Die meisten konnten sich retten, neunzig von ihnen nicht mehr, darunter sechs, die man offenbar direkt vor der Moschee exekutiert hatte. „Von wem der Befehl kam, sie dort zu erschießen, das wird jetzt untersucht“, sagt Gothom leise aber bestimmt. Später wurde er von den Gelbhemden beschuldigt, für die Rothemden Partei ergriffen zu haben. „Darauf hab ich nicht mal reagiert.“
Nein, er ist nicht Partei, war es nie, pfeift auf Konfessionen und Ideologien, ein Selfmademan, der schon früh gelernt hat, über den Tellerrand seiner Heimat zu blicken. Als 17-Jähriger durfte er nach Frankreich ziehen, wo er mit einem Stipendium das Studium zum Elektronikingenieur absolvierte, verlor dabei aber nicht sein Fernziel aus den Augen. „Ich wollte mich in meinem Land nützlich machen.“
Politik interessierte ihn damals nur am Rande, aber das änderte sich, als er im Mai 1968 in Paris die Studentenproteste erlebte, die in einen Generalstreik mündeten und den bis dahin schier allmächtigen Staatspräsidenten Charles de Gaulle zum Rücktritt zwangen. „Ich war tief beeindruckt“, bekennt er. „Diese Bewegung öffnete meinen Horizont.“ Als politisch engagierter Mensch kehrte er ein Jahr später nach Thailand zurück, wo er an der Uni in Bangkok eine Elektronikdozentur antrat und gleichzeitig die erste thailändische Menschenrechtsorganisation mitbegründete. Als ein Militärputsch im Jahr 1991 Neuwahlen erzwang, wurde er zum Wahlbeobachter ernannt, ein Amt, das er in den folgenden Jahren viermal ausüben musste, offenbar so erfolgreich, dass er schließlich festes Mitglied der Wahlkommission wurde und außerdem den Auftrag erhielt, ein Konzept zur Befriedung des Moslemkonflikts im Süden des Landes zu entwickeln.
„Ich traue niemandem mehr, nicht den Politikern, nicht dem König.“
Das „Research Center on Peacebuilding“ wurde gegründet, das er bis heute leitet. Dreimal im Monat fliegt er nach Pattani, sucht Schlüsselpersonen aus den verschiedenen Lagern, setzt sie an einen Tisch und lässt sie miteinander reden. Danach sollen sie in ihrem jeweiligen Umfeld als Multiplikatoren wirken, bei Frauenvereinigungen, Studenten, Gewerkschaftlern, muslimischen und buddhistischen Gemeinden. Und weil er gern in Bildern spricht, hat er auch jetzt eines parat. „Die Hefe ist mit Wasser und Mehl angerührt, jetzt muss sie wirken und wachsen.“
In seinem Büro an der Universität Mahidol gärt der Teig bereits. „Ich traue niemandem mehr, nicht den Politikern, nicht dem König. Was wir endlich brauchen, ist Demokratie!“, ruft Jitra in die starr lächelnden Gesichter der acht königstreuen Gelbhemden und ihrer Kontrahenten in Rot, die mehr Demokratie und weniger Monarchie fordern. Sie alle hat Gothom um den Konferenztisch gruppiert: einen buddhistischen Mönch, zwei Geschäftsmänner, eine NGO-Vertreterin, eine Journalistin, einen Musiker, eine Studentensprecherin – und Jitra, die Gewerkschaftlerin.
„Wir müssen unsere Tradition wahren“, entgegnet Chan, der Mönch, ein Gelbhemd. „Mit der Monarchie ist es uns doch immer gut gegangen.“
„Mir nicht“, widerspricht Jitra, eine von viertausend Näherinnen in Diensten der Firma Triumph in Bangkok. Sie zählt auf: Acht Stunden Akkord pro Tag, für umgerechnet zweihundertdreißig Euro im Monat. Keine Urlaubstage. Wer einen Fehler macht, wird gemeldet, drei Meldungen bedeuteten den Rausschmiss. Krankwerden ebenfalls. Als sie herausfand, dass die Manager Geld unterschlugen, das den Arbeitern zugute kommen sollte, gründete sie eine Gewerkschaft, der sich fast alle Arbeiter des Betriebs anschlossen. „Wir haben den ganzen Laden untersucht, er stank an allen Ecken und Enden.“
„Das ist nicht gut, aber was kann der König dafür?“ wendet der Geschäftsmann ein.
„Die Monarchie kontrolliert alles. Auch die Justiz.“
Doch Jitra lässt nicht locker. Ihr Engagement hatte Folgen. Als sie in einer Talkshow ein T-Shirt mit der Aufschrift „Es ist kein Verbrechen, eine andere Meinung zu haben“ trug, wurde das als Kritik an der Monarchie gewertet, die Fabrikleitung zeigte sie an, Jitra wurde für schuldig befunden und verlor ihren Job.
„Da seht ihr’s “, schreit Pae, der Musiker, der auf den Demonstrationen der Rothemden die Protestgesänge anstimmt. „Die Monarchie kontrolliert alles. Auch die Justiz.“
„Und nicht nur die!“, schimpft Lek, ehemaliger Pilot der thailändischen Luftwaffe. „Denkt doch daran, wie die Gelben den Flughafen besetzt haben. Ich hab’ mein Gewehr ins Auto gepackt und bin hin gefahren.“
„Aber geschossen hast du nicht?“, fragt Gothom, der sich zum erstenmal einmischt.
„Nein“, ereifert sich Lek, „weil ich nicht gewalttätig sein will. Aber vielleicht tu ich es doch noch mal. Ich bin voller Zorn.“
„Moment“, sagt Gothom. „Wenn wir zornig sind, sehen wir die Feinde noch feindlicher, als sie sind. Suchen wir lieber nach Gemeinsamkeiten. Wir wollen alle keinen Putsch mehr. Wir wollen alle keinen korrupten Ministerpräsidenten mehr. Wir haben Angst vor dem Militär und vor der Macht der Monarchie. Diese Instanzen sind aber da und müssen ihre neue Rolle finden. Und nun lasst Jitra weiter erzählen.“
Die Gruppe hört geduldig zu, als sie berichtet, dass zweitausend Näherinnen auf die Straße gesetzt wurden, worauf alle Gewerkschaftsmitglieder streikten, anderthalb Monate lang – bis sie wieder eingestellt wurden. Alle, außer Jitra, der Anführerin. Sie fristet ihr Leben mit einer alten Nähmaschine, näht Slips und Badeanzüge, die sie auf der Straße verkauft. In der Gewerkschaft ist sie weiterhin aktiv, „aber einmal im Monat kontrolliert die Polizei meine Papiere und fotografiert mich.“
Die Runde verabschiedet sich ohne eine Einigung, aber doch ein wenig erleichtert, weil jeder seine Meinung und Sorgen erklären konnte.
„Ich hab‘ Angst vor dem Tag, an dem der König stirbt.“
„Es war ein einziger Mann, der die Politik Thailands im vergangenen Jahrzehnt so veränderte“, sagt Gothom, nachdem sie gegangen sind. Premierminister Thaksin Shinawatra, ehrgeizig, charismatisch, korrupt. Ihm gehörte ein Drittel aller Telekommunikations-Konzessionen, Beziehungen zu Schlüsselpersonen in Politik und Militär machten ihn zum reichsten Mann Thailands. Als gewählter Staatschef ging er mit harter Hand gegen das Drogengeschäft vor, realisierte Entwicklungsprojekte auf dem Land, führte eine Krankenversicherung ein und vergab Mikrokredite, all das verhalf ihm bei der Landbevölkerung zu großer Beliebtheit. Bis er es mit dem Filz und Klüngel zu weit trieb: 2006 verkaufte er die Hälfte des Familienkonzerns für umgerechnet knapp zwei Milliarden US-Dollar, ohne Steuern zu zahlen. Das gelang, weil er zuvor Sondergesetze verabschieden ließ. Kurze Zeit später besetzte die Armee das Regierungsviertel in Bangkok und beendete mit einem Putsch, dem achtzehnten innerhalb von 74 Jahren, Thaksins Herrschaft. Aber nicht, wie behauptet, wegen Vetternwirtschaft oder Korruption, sondern weil sich die Monarchie vom starken Premier in seiner Macht bedroht fühlte.
„Ich hab‘ Angst vor dem Tag, an dem der König stirbt“, sagt Gothom, nachdem sie gegangen sind. „Er hat die Kontrolle verloren, über seine Frau, seinen Sohn, sein Land.“
Der König, einst die einzig integre und allgemein anerkannte Instanz des Landes, ist krank und senil. Königin Sirikit versucht, die Strippen für den verbummelten Sohn zu ziehen, über den das Volk lästert, diesen Schürzenjäger und Playboy. Hinter vorgehaltener Hand. Denn Kritik am Königshaus gilt als Verbrechen, für das fünfzehn Jahre Haft drohen. Doch auch den Gegnern der Monarchie und Oligarchie ist klar: Wenn Bhumibol nicht mehr ist, droht Schlimmeres, nämlich ein Bürgerkrieg, in dem jeder über jeden herfallen würde. Die alte Elite – Unternehmer, wohlhabende Familienclans, Akademiker – befeuern die Gelbhemden. Bauernführer, Gewerkschafter und Provinzpolitiker aus dem Norden dagegen stärken die Gelbhemden.
Unter solchen Vorzeichen schleichen sich auch bei einem streng von Vernunft gesteuerten Menschen wie Gotham Zweifel ein, die darum kreisen, ob allein moderate Gespräche auf Dauer genügen. Der Entschluss, eine tatkräftige Initiative zu entwickeln, festigte sich ausgerechnet in dem buddhistischen Kloster, in dem er einmal im Jahr zu sich selber zu kommen sucht. Die Aufgabe, die ihm gestellt wurde, lautete, sieben Stunden lang mit langen Schritten zwölf Schritte vor und zurück zu gehen – und dabei jeden Gedanken auszuschalten.
„Ich dachte, mein Team würde mich für verrückt erklären, aber sie waren begeistert.“
Er versuchte es, aber nach einer Weile gewann der Ingenieur in ihm die Oberhand: Er rechnete aus, wie lange es dauern würde, von Bangkok nach Pattani zu gehen und kam auf fünfzig Tage. Die Idee für den Friedensmarsch war geboren. „Ich dachte, mein Team würde mich für verrückt erklären, als ich ihnen diese Aktion vorschlug. Aber sie waren begeistert.“
Also machten sie sich im August auf den Weg, unter ihnen ein ehemaliger Professor und ein paar Studenten, der ehemalige Pilot Lek und einige Mitarbeiterinnen seines Instituts. Je weiter sie kamen, desto mehr erweiterte sich die Gruppe, manche Mitläufer gingen nur einen Tag oder etwas länger mit. Besonders gerührt waren sie, als sich neun Waisenkinder dem Zug anschlossen, behütet von einer Kindergärtnerin, die trotz ihrer Krebskrankheit ein gutes Stück mithielt. Auf der letzten Etappe stießen fünfhundert Studenten der Universität von Pattani dazu, die meisten waren Frauen. Hunderte Nonnen, Mönche, Muslime, Schüler und Bauern schlossen sich an oder säumten die Straße, schenkten den Wanderer Früchte und Getränke. Ein Triumphzug, über den Zeitungen und Fernsehen überall im Land berichteten. Mit seiner Ankunft in Pattani hatte auch die Friedensbotschaft der Teilnehmer ihr Ziel erreicht.
Abschied von Gotham auf seinem Landsitz am Rand des Naturschutzgebiets Thao Yai, dem großen Berg, wo er und seine Frau fast jedes Wochenende verbringen. Der Hausherr lädt zum Spaziergang durch seinen weitläufigen Garten ein und weiß zwischen all dem exotischen Gehölz aus Teak, Flamboyant und Ficus seine kleinen Geschichten zu erzählen. Eine davon handelt indirekt ein bisschen von ihm selbst, vordergründig jedoch von einem Bauern, der seine Armbanduhr in einem Heuschober verloren hat. Er bittet seine zehn Kinder, nach dem guten Stück zu suchen, und verspricht dem, der es findet, einen guten Finderlohn. Neun von ihnen durchwühlen das Heu. Ohne Erfolg. Enttäuscht ziehen sie ab. Nur der eine, der sich rausgehalten hat, bleibt zurück, verschwindet im Schober und kommt gleich darauf mit der Uhr heraus.
„Wie hast du sie gefunden?“, fragt der Vater.
„Ganz einfach“, sagt der Junge. „Ich hab mich hingesetzt und den Atem angehalten. Da hörte ich sie ticken.“
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Recherchezeit der Reportage: Ende 2010.